Friday, November 08, 2013

Vertraute Geschichten neu entdecken

betitelte der Redakteur der Zeitung "Die Rheinpfalz" seinen Text über meine Buchvorstellung
Rheinpfalz 2013-10-28
Buchvorstellung im Weingut Ullrich, Ortsbürgermeister Harald Lehmann hält eine Rede Grimmsche Märche uff Pälzisch
Die Wein- und Probierstube vom Weingut Ullrich ist ein schöner Ort für kleine Ausstellungen und Veranstaltungen. Akustik und Gestaltung passen. Das war ein gut gewählter und passender Rahmen für meine erste Buchvorstellung. Ein lang gehegter Traum ist endlich wahr geworden, mein erstes Buch ist erschienen und alle waren davon hingerissen.
Nach der einführenden Rede von Frau Heike Grill, der Stadtbeigeordneten von Bad Bergzabern kam Ortsbürgermeister Harald Lehmann von Pleisweiler-Oberhofen ans Rednerpult. Er prieß seine schöne Gemeinde und freute sich auf die Märchen. Ich las einen Teil von "Fraa Holle", einen Ausschnitt aus "Jorinde und Joringel", dann "Vumm beese Flachsschbinne" und als Zugabe das Märchen vunn de "Arem Krott" die später zum Sterntaler wurde.
Buchvorstellung am 25.Oktober 2013 um 19:30 Uhr im Weingut Ullrich in Pleisweiler/Oberhofen Verlag ploeger-medienSELLEMOOLS - Grimmsche Märche uff Pälzisch

Wednesday, November 06, 2013

Der Tiger und die Kröte



Seerosenteich
Eine Kröte geht eines Tages spazieren, da sieht sie schon von weitem einen Tiger auf sich zukommen. ‚Der Tiger!‘ denkt sie, ‚wird mich ganz bestimmt fressen. Ich muss mir eine List ausdenken.‘
Als der Tiger mit seinen großen Pranken näher kommt ruft die Kröte ihm zu: „Geh keinen Schritt weiter, sonst bist du des Todes!“
Der Tiger bleibt tatsächlich stehen. Er schaut auf den Boden, entdeckt die Kröte und lacht: „Wer bist denn du? Was kannst du überhaupt, so klein wie du bist. Vielleicht kannst du springen? Wollen wir ein Wettspringen machen?“
Die Kröte ist einverstanden und gemeinsam gehen sie zum großen Fluss und stellen sich zum Springen auf.
Die Kröte sagt: „Siehst du, ich stelle mich sogar noch hinter dich“, und schnell hüpft sie hinter den wedelnden Schwanz des Tigers und beißt sich in der Schwanzspitze fest.
Der Tiger nimmt Anlauf und macht einen riesigen Sprung über den Fluss. Als er auf der anderen Seite landet, dreht er sich geschmeidig um und bei dieser Bewegung lässt sich die Kröte fallen und ruft: „Hier bin ich!“
Der Tiger ist erstaunt, dass die Kröte gewonnen hat und die Kröte sagt: „Ja, ich bin so geschickt, ich fresse sogar Tiger lebendig auf und wenn du es nicht glaubst, dann schau nur gleich in meinen Mund.“
Der Tiger geht vorsichtig näher und was sieht er im Maul der Kröte: Tigerhaare! Voller Schrecken zieht er den Schwanz ein und flieht so schnell er kann. Die Kröte aber, die ruhte sich von dem Abenteuer aus.

Märchen aus Korea, Quelle: Oskar Dähnhardt, Tiersagen, Band 2, Fassung Djamila Jaenike
 

Friday, May 31, 2013

Das Erdmännchen

rote Äpfelchen


Es war einmal ein reicher König, der hatte drei Töchter, die gingen alle Tage im Schlossgarten spazieren; und der König, der ein großer Liebhaber von allerhand schönen Bäumen war, liebte einen Baum ganz besonders, so dass er denjenigen, der ihm einen Apfel davon pflückte, hundert Klafter tief unter die Erde wünschte. Als es nun Herbst war, da wurden die Äpfel an dem Baum so rot wie Blut. Die drei Töchter gingen alle Tage unter den Baum und sahen zu, ob nicht der Wind einen Apfel heruntergeschlagen hätte, aber sie fanden ihr Lebtag keinen, und der Baum saß so voll, als ob er brechen wollte, und die Zweige hingen bis auf die Erde herab. Da gelüstete es die jüngste Königstochter gewaltig, und sie sagte zu ihrer Schwester: "Unser Vater, der hat uns viel zu lieb, als dass er uns verwünschen würde; ich glaube, das sagt er nur wegen der fremden Leute." Und das Kind pflückte einen ganz dicken Apfel ab und sprang vor seine Schwestern her und sagte: "Ah, nun schmeckt mal, meine lieben Schwestern, ich hab mein Lebtag noch nicht so was Schönes gegessen." Da bissen die beiden andern Königstöchter auch in den Apfel, und da versanken sie alle drei tief unter die Erde, dass kein Hahn mehr nach ihnen krähte.

Als es nun Mittag wurde, da wollte der König sie zu Tische rufen, aber sie waren nirgends zu finden. Er suchte sie überall, im Schloss und im Garten, aber er konnte sie nicht finden. Da wurde er sehr betrübt und ließ das ganze Land aufbieten, und der, der ihm seine Töchter wiederbrächte, der sollte eine davon zur Frau haben. Da gingen nun so viele junge Leute über Feld und suchten mit allen Kräften und über alle Massen, denn jeder hatte die drei Kinder gern gehabt, weil sie gegen jedermann so freundlich und auch schön von Angesicht gewesen waren. Und es zogen auch drei Jägerburschen aus, und als sie wohl an die acht Tage gewandert waren, da kamen sie zu einem großen Schloss, da waren so hübsche Stuben drin, und in einem Zimmer war ein Tisch gedeckt, darauf standen so süße Speisen, die waren noch warm und dampften; aber in dem ganzen Schloss war kein Mensch weder zu hören noch zu sehen. Da warteten sie noch einen halben Tag, und die Speisen blieben immer warm und dampften; doch dann wurden sie so hungrig, dass sie sich an den Tisch setzten und mit großem Appetit aßen. Sie machten miteinander aus, sie wollten auf dem Schlosse wohnen bleiben, und sie wollten darum losen, dass einer im Haus bleiben und die beiden andern die Töchter suchen sollten; das taten sie auch, und das Los traf den ältesten. Am nächsten Tag gingen die zwei jüngsten auf die Suche, und der älteste musste zu Hause bleiben. Am Mittwoch kam so ein kleines Männchen, das um ein Stückchen Brot bat. Da nahm der älteste von dem Brote, das er dort gefunden hatte, schnitt ein Stück rund um das Brot weg und wollte ihm das geben. Er reichte es dem kleinen Männchen hin, doch dieses ließ das Stück fallen und sagte zu dem Jägerburschen, er solle es aufheben und ihm wiedergeben. Das wollte er auch tun und bückte sich, aber da nahm das kleine Männchen einen Stock, packte ihn bei den Haaren und gab ihm tüchtige Schläge. Am andern Tag, da ist der zweite zu Hause geblieben, dem erging es nicht besser. Als die beiden andern am Abend nach Hause kamen, da sagte der älteste: "Na, wie ist es dir ergangen?" - "Oh, mir ist es schlecht ergangen." Da klagten sie einander ihre Not, aber dem jüngsten sagten sie nichts davon, denn den konnten sie gar nicht leiden und hatten ihn immer den dummen Hans genannt, weil er nicht sonderlich weltklug war.

Am dritten Tag blieb der jüngste zu Haus; da kam das kleine Männchen wieder und hielt um ein Stückchen Brot an. Und wie er es ihm nun gegeben hatte, ließ er es wieder fallen und sagte, er möchte doch so gut sein und ihm das Stückchen wieder geben. Da sagte Hans zu dem kleinen Männchen: "Was! Kannst du das Stück nicht selber aufheben? Gibst du dir um deine tägliche Nahrung nicht einmal so viel Mühe, dann bist du auch nicht wert, dass du es isst!" Da wurde das Männchen böse und sagte, er müsste es tun; Hans aber, nicht faul, nahm mein liebes Männchen und drosch es tüchtig durch. Da schrie das Männchen ganz laut und rief: "Hör auf, hör auf, und lass mich los, dann will ich dir auch sagen, wo die Königstöchter sind."

Wie Hans das hörte, schlug er nicht mehr, und das Männchen erzählte, er sei ein Erdmännchen, und solcher wären mehr als tausend, er möge nur mit ihm gehen, dann wolle er ihm auch zeigen, wo die Königstöchter wären. Da zeigte er ihm einen tiefen Brunnen, in dem aber kein Wasser mehr war. Und da sagte das Männchen, er wisse wohl, dass seine Gesellen es nicht ehrlich mit ihm meinten, und wenn er die Königskinder erlösen wolle, dann müsse er es alleine tun. Die beiden andern Brüder wollten wohl auch gern die Königstöchter wiederhaben, aber sie wollten sich deswegen keiner Mühe und Gefahr unterziehen. Um die Töchter zu erlösen, müsse er einen großen Korb nehmen, sich mit einem Hirschfänger und einer Schelle hineinsetzen und sich herunterwinden lassen. Unten seien drei Zimmer; in jedem sitze ein Königskind und habe einen Drachen mit vielen Köpfen zu kraulen: denen müsste er die Köpfe abschlagen. Als das Erdmännchen das alles gesagt hatte, verschwand es. Als es Abend war, da kamen die beiden andern und fragten ihn, wie es ihm ergangen sei. Da sagte er: "Oh, soweit gut," und er habe keinen Menschen gesehen, außer am Mittag, da sei so ein kleines Männchen gekommen, das habe um ein Stückchen Brot gebeten, und als er es ihm gegeben habe, ließ das Männchen es fallen und sagte, er möge es ihm wieder aufheben. Und wie er das nicht habe tun wollen, da fing es an zu drohen; das aber verstand er unrecht und verprügelte das Männchen; da habe es ihm erzählt, wo die Königskinder seien. Da ärgerten sich die beiden andern Jägerburschen so sehr, dass sie gelb und grün wurden. Am andern Morgen da gingen sie zusammen an den Brunnen und machten Lose, wer sich zuerst in den Korb setzen sollte. Das Los fiel auf den ältesten, er musste sich hineinsetzen und die Schelle mitnehmen. Da sagte er: "Wenn ich schelle, müsst ihr mich wieder geschwind heraufwinden." Er war nur kurz unten, da schellte es schon, und die zwei andern Brüder wanden ihn wieder herauf. Da setzte sich der zweite hinein: der machte es geradeso. Nun kam die Reihe an den jüngsten, der sich ganz hinunterwinden ließ. Als er aus dem Korb gestiegen war, nahm er seinen Hirschfänger, ging zur ersten Tür und lauschte: da hörte er den Drachen ganz laut schnarchen. Er machte langsam die Tür auf; da saß eine Königstochter, die hatte auf ihrem Schoss neun Drachenköpfe liegen und kraulte sie. Da nahm er seinen Hirschfänger und hieb zu, und neun Köpfe waren ab. Die Königstochter sprang auf und fiel ihm um den Hals und küsste ihn von Herzen; dann nahm sie einen Schmuck, den sie auf ihrer Brust trug und der von altem Golde war, und hängte ihn dem jungen Jäger um. Da ging er auch zu der zweiten Königstochter, die einen Drachen mit sieben Köpfen kraulen musste; und sie erlöste er auch. Dann erlöste er auch die jüngste, die einen Drachen mit vier Köpfen kraulen musste. Die drei Schwestern umarmten und küssten sich voller Freude, ohne aufzuhören. Nun schellte der jüngste Bruder daraufhin so laut, bis sie es droben hörten. Da setzte er die Königstöchter eine nach der andern in den Korb und ließ sie alle drei hinaufziehen. Wie aber nun die Reihe an ihn kommt, fallen ihm die Worte des Erdmännchens wieder ein, dass es seine Gesellen mit ihm nicht gut meinten. Da nahm er einen großen Stein, der auf der Erde lag, und legte ihn in den Korb. Als der Korb bis etwa zur Mitte heraufgezogen war, schnitten die falschen Brüder oben den Strick durch, dass der Korb mit den Steinen auf den Grund fiel, und nun meinten sie, er wäre tot. Sie liefen mit den drei Königstöchtern fort und ließen sich von ihnen versprechen, dass sie ihrem Vater sagen sollten, die beiden ältesten Brüder hätten sie erlöst. So kamen sie zum König, und ein jeder begehrte eine Königstochter zur Frau.

Unterdes ging der jüngste Jägerbursche ganz betrübt in den drei Kammern umher; er dachte, dass er nun wohl sterben müsse. Da sah er an der Wand eine Flöte hängen, und sagte: "Warum hängst du denn da? Hier kann ja keiner lustig sein!" Er besah sich auch die Drachenköpfe; dann sagte er: "Ihr könnt mir auch nicht helfen!" Und er ging auf und ab spazieren, dass der Erdboden davon ganz glatt wurde. Und auf einmal, da kriegte er andere Gedanken, nahm die Flöte von der Wand und blies ein Stückchen darauf; und plötzlich kam bei jedem Ton, den er blies, ein Erdmännchen hervor. Er blies so lange, bis das ganze Zimmer voller Erdmännchen war. Die fragten alle, was sein Begehren wäre. Da sagte er, er wolle wieder nach oben ans Tageslicht. Da fasste jeder an einem seiner Kopfhaare, und so flogen sie mit ihm zur Erde hinauf. Wie er oben war, ging er gleich zum Königsschloss, wo gerade die Hochzeit mit der einen Königstochter sein sollte; und er ging auf das Zimmer, wo der König mit seinen drei Töchtern saß. Wie ihn da die Kinder sahen, da wurden sie ohnmächtig. Da wurde der König sehr böse, und ließ ihn gleich ins Gefängnis werfen, weil er meinte, er hätte den Kindern ein Leid angetan. Als aber die Königstöchter wieder zu sich gekommen waren, da baten sie ihren Vater, er möchte ihn doch wieder freilassen. Der König fragte sie, warum, aber die Kinder sagten, sie dürften das nicht erzählen. Doch der Vater sagte, sie sollten es dem Ofen erzählen. Dann ging er hinaus, lauschte an der Tür und hörte alles. Da ließ er die beiden Brüder an den Galgen hängen, und dem jüngsten gab er die jüngste Tochter. Und da zog ich ein Paar gläserne Schuhe an, und da stieß ich an einen Stein, da machte es 'klink', da waren sie entzwei.

Thursday, May 16, 2013

Die Kröte

Kröte
Es war einmal eine Köchin. Die ging früh morgens in den Garten nach grünem Gemüse. Dort kam zu ihr eine große Kröte; da jagte die Köchin sie von dannen. Aber die Kröte wollte durchaus nicht fortgehen, bis die Köchin ihr nicht gesagt hatte: »Wenn du ein Kind bekommst, werde ich Gevatter stehen.« Da ging die Kröte von dannen.
Im Garten war ein ausgetrockneter Brunnen, und dort wohnte die Kröte; dort führte ein Steg hinunter.
Dann kam der Tag, wo bei der Kröte Taufe gehalten wurde, und sie schickten auch nach der Köchin, dass sie kommen solle, und jetzt bereute die Köchin, was sie der Kröte versprochen hatte. Aber ihre Frau redete ihr zu, dass, wenn sie es versprochen, sie auch gehen müsse, und die Köchin nahm alles mit.
Wie sie zum trocknen Brunnen hinkam, war da ein Eingang, und da ging die Köchin hinunter. Dort öffnete sich eine Thür; dort war die Küche, und dort brodelte tüchtig das Essen. Die Köchin ging hin, hob den Deckel auf, und da sah sie denn, dass in den Töpfen graue, alte Männer kochten, und die riefen: »Ach, lass uns hinaus!«
Die Köchin tat den Deckel wieder auf den Topf; nun war sie aber sehr erschrocken; sie ging in die Stube und setzte alles nieder, was sie mitgebracht hatte.
Als die Taufe war, aß die Köchin nur von dem, was sie gebracht hatte.
Nach der Taufe kehrte sie die Küche der Kröte aus und fand auf der Schwelle ein Goldstück. Da nahm sie geschwind den Kehricht in ihre Schürze und ging hinauf. Als sie auf der obersten Treppe war, rief ihr die Kröte nach:
»Danke deinem Schöpfer, Hund, dass du hinaufgegangen bist!«
Als die Köchin heimkam, erzählte sie die Sache, und ihre Frau sagte: »Du siehst, dass es nicht gut ist, mit Kröten anzubändeln.«
Sklarek, Elisabet: Ungarische Volksmärchen. Einl. A. Schullerus. Leipzig: Dieterich 1901

Tuesday, April 09, 2013

Der pfiffige Hans



7.4.13
Vor vielen, vielen Jahren lebte einmal ein Mann, der einen Sohn hatte. Als derselbe größer ward, musste er sich bei fremden Leuten als Hirt verdingen. Eine geraume Zeit hatte er sich und seinen Vater ernährt, als er plötzlich Lust zum Wandern bekam. Nichts konnte Hansen mehr abhalten; nur draußen meinte er, könne er sein Glück machen. Er machte sich daher auf die Strümpfe und wanderte in eine große Stadt. Als er in eines der ersten großen Gasthäuser eintrat, hörte er, dass der König seine Tochter vermählen wolle und dass sich ein jeder als Bewerber melden könne. Hans dachte, versuchen kostet ja nichts, und ließ sich anmelden. Des andern Tages begaben sich alle Freier auf eine große Wiese; dort warf die Königstochter so viele Erdäpfel, als Bewerber waren, in die Luft. Derjenige, welcher nichts auffing, musste abziehen; wer aber einen erwischte, der sollte drei von der Königstochter gegebene Aufgaben lösen. Keinem war dies gelungen, und sie mussten mit stumpfer Nase abziehen. Nun erst kam Hans, wegen seiner niederen Herkunft der letzte, an die Reihe.
Die erste Aufgabe, welche keiner gelöst hatte, war die, dass Hans einige hundert Hasen hüten sollte, und am Abend musste er sie wieder vollzählig zurückbringen.
Hans ging den Tag über ganz betrübt im Walde herum, denn er hatte alle Hoffnung auf das Gelingen aufgegeben, als plötzlich, wie aus der Erde hervorgewachsen, ein altes, runzlichtes Weib vor ihm stand. Ganz erschrocken wollte er fortlaufen; allein das Weib hielt ihn fest und fragte ihn freundlich, warum er so betrübt sei. Hans meinte, es könnte ihm niemand helfen; doch sagte er ihr den Grund, um ihre Zudringlichkeit los zu werden, und wollte soeben weitergehen, als sie ihn zurückrief und ihm eine kleine Pfeife zuwarf. Hans konnte sich nicht denken, zu was diese Pfeife dienen sollte; indes steckte er sie ein und ging, da es schon Abend war, nach Hause zurück. In aller Frühe lenkte er seine Schritte zum Schloss. Bald ward es daselbst lebendig, und die Königstochter befahl, die Hasen aus dem Stalle zu lassen; aber als der letzte draußen war, konnte man von keinem eine Spur mehr entdecken. Hans lief nach und kam auf eine Wiese, die mitten im Walde lag, suchte seine Pfeife hervor und pfiff, dass der Wald vom Echo ertönte. Im Nu waren alle Hasen wieder da. Das war ihm eine gemähte Wiese. Die Königstochter, welche den Schäfer nicht zu ihrem Gemahl haben wollte, suchte durch List ihm einen Hasen zu entlocken. Sie verkleidete sich als Bauermädchen, nahm einen Korb an den Arm und ging so zum Hans in den Wald. Hans erkannte sie sogleich, ließ aber nichts merken, sondern wartete, bis sie zu ihm herangekommen war. Sie fragte ihn, ob er keine Hasen feil habe. Er antwortete mit einem kurzen Nein. »Aber auf welche Art kann ich mir wenigsten einen verdienen?« fragte sie. – »Wenn du freundlich und herzlich mit mir bist«, entgegnete er. Nach einigem Zögern gab ihm die Königstochter einen Kuss, und sie erhielt den verlangten Hasen. Freudig entfernte sie sich; kaum war sie aber eine Strecke gegangen, als Hans aus Leibeskräften zu pfeifen anfing. Hurtig sprang der Hase aus dem Korbe, und in einem Augenblick war er wieder bei der Herde. Die Königstochter hatte nichts davon gemerkt und entdeckte erst zu Hause ihren Verlust.
Nun beschloss der König selbst hinzugehen, um Hansen einen Hasen auf irgendeine Weise abzulocken. Er verkleidete sich und machte sich als Jude mit einem Esel und zwei Tragkörben auf den Weg zur Waldwiese. Hans erkannte ihn sogleich, ließ aber nichts merken und pfiff ruhig ein angefangenes Stückchen weiter. »Hast du einen Hasen zu verschachern?« fragte der König. – »Wenn du mir etwas zu Gefallen tust, sollst du einen umsonst haben«, sagte Hans. Der verkleidete König machte dabei ein ganz verklärtes Gesicht und fragte: »Nun, was kann ich dir tun?« Hans sagte: »Gib dem Esel, den du bei dir hast, einen Kuss unter den Schweif.« Anfangs sträubte sich der Jude gar sehr, allein zuletzt ließ er sich dazu bewegen und tat, was Hans verlangt hatte. Er bekam nun seinen Hasen, welchen er in einen der Körbe steckte und dann seines Wegs weiter zog. Als er ein wenig entfernt war, ließ Hans seinen Lockruf ertönen, und sogleich war die Herde wieder vollzählig.
Abends trieb Hans seine Herde ins Schloss zurück, und niemand konnte ihm die Lösung der ersten Aufgabe, welche die schwerste war, abstreiten. Nun kam aber die zweite. Er sollte nämlich mehrere Metzen Erbsen und Fisolen in einer stockfinstern Kammer voneinander sondern. Er ging hin, tat einen Pfiff, und sogleich waren einige hundert Ameisen da, welche zu kroseln und zu schaffen anfingen. Nach einiger Zeit lagen Erbsen und Fisolen gesondert in Haufen. Das war für den König ein Verdruss, und er stellte nun eine dritte Aufgabe. Hans sollte nämlich viele hundert Eier vom Grund eines tiefen Sees, und zwar zur Nachtzeit holen. Er begab sich zum See und pfiff, und sogleich waren eine Menge Fische da, welche schon vor Tagesanbruch die Eier herausgeholt hatten. Jetzt hatte er gewonnen Spiel, und da er ein hübscher Bursche war, so willigte endlich die Königstochter ein und heiratete ihn. Hans nahm seinen alten Vater zu sich, ward später König und lebte glücklich und zufrieden.
Vernaleken, Theodor: Kinder- und Hausmärchen dem Volke treu nacherzählt. 3.Auflage, Wien/Leipzig, 1896