Vor vielen, vielen Jahren
lebte einmal ein Mann, der einen Sohn hatte. Als derselbe größer ward, musste
er sich bei fremden Leuten als Hirt verdingen. Eine geraume Zeit hatte er sich
und seinen Vater ernährt, als er plötzlich Lust zum Wandern bekam. Nichts konnte
Hansen mehr abhalten; nur draußen meinte er, könne er sein Glück machen. Er
machte sich daher auf die Strümpfe und wanderte in eine große Stadt. Als er in
eines der ersten großen Gasthäuser eintrat, hörte er, dass der König seine
Tochter vermählen wolle und dass sich ein jeder als Bewerber melden könne. Hans
dachte, versuchen kostet ja nichts, und ließ sich anmelden. Des andern Tages
begaben sich alle Freier auf eine große Wiese; dort warf die Königstochter so
viele Erdäpfel, als Bewerber waren, in die Luft. Derjenige, welcher nichts
auffing, musste abziehen; wer aber einen erwischte, der sollte drei von der
Königstochter gegebene Aufgaben lösen. Keinem war dies gelungen, und sie mussten
mit stumpfer Nase abziehen. Nun erst kam Hans, wegen seiner niederen Herkunft
der letzte, an die Reihe.
Die erste
Aufgabe, welche keiner gelöst hatte, war die, dass Hans einige hundert Hasen
hüten sollte, und am Abend musste er sie wieder vollzählig zurückbringen.
Hans ging
den Tag über ganz betrübt im Walde herum, denn er hatte alle Hoffnung auf das
Gelingen aufgegeben, als plötzlich, wie aus der Erde hervorgewachsen, ein
altes, runzlichtes Weib vor ihm stand. Ganz erschrocken wollte er fortlaufen;
allein das Weib hielt ihn fest und fragte ihn freundlich, warum er so betrübt
sei. Hans meinte, es könnte ihm niemand helfen; doch sagte er ihr den Grund, um
ihre Zudringlichkeit los zu werden, und wollte soeben weitergehen, als sie ihn
zurückrief und ihm eine kleine Pfeife zuwarf. Hans konnte sich nicht denken, zu
was diese Pfeife dienen sollte; indes steckte er sie ein und ging, da es schon
Abend war, nach Hause zurück. In aller Frühe lenkte er seine Schritte zum
Schloss. Bald ward es daselbst lebendig, und die Königstochter befahl, die
Hasen aus dem Stalle zu lassen; aber als der letzte draußen war, konnte man von
keinem eine Spur mehr entdecken. Hans lief nach und kam auf eine Wiese, die
mitten im Walde lag, suchte seine Pfeife hervor und pfiff, dass der Wald vom
Echo ertönte. Im Nu waren alle Hasen wieder da. Das war ihm eine gemähte Wiese.
Die Königstochter, welche den Schäfer nicht zu ihrem Gemahl haben wollte,
suchte durch List ihm einen Hasen zu entlocken. Sie verkleidete sich als
Bauermädchen, nahm einen Korb an den Arm und ging so zum Hans in den Wald. Hans
erkannte sie sogleich, ließ aber nichts merken, sondern wartete, bis sie zu ihm
herangekommen war. Sie fragte ihn, ob er keine Hasen feil habe. Er antwortete
mit einem kurzen Nein. »Aber auf welche Art kann ich mir wenigsten einen
verdienen?« fragte sie. – »Wenn du freundlich und herzlich mit mir bist«,
entgegnete er. Nach einigem Zögern gab ihm die Königstochter einen Kuss, und
sie erhielt den verlangten Hasen. Freudig entfernte sie sich; kaum war sie aber
eine Strecke gegangen, als Hans aus Leibeskräften zu pfeifen anfing. Hurtig
sprang der Hase aus dem Korbe, und in einem Augenblick war er wieder bei der
Herde. Die Königstochter hatte nichts davon gemerkt und entdeckte erst zu Hause
ihren Verlust.
Nun beschloss
der König selbst hinzugehen, um Hansen einen Hasen auf irgendeine Weise
abzulocken. Er verkleidete sich und machte sich als Jude mit einem Esel und
zwei Tragkörben auf den Weg zur Waldwiese. Hans erkannte ihn sogleich, ließ
aber nichts merken und pfiff ruhig ein angefangenes Stückchen weiter. »Hast du
einen Hasen zu verschachern?« fragte der König. – »Wenn du mir etwas zu
Gefallen tust, sollst du einen umsonst haben«, sagte Hans. Der verkleidete
König machte dabei ein ganz verklärtes Gesicht und fragte: »Nun, was kann ich
dir tun?« Hans sagte: »Gib dem Esel, den du bei dir hast, einen Kuss unter den
Schweif.« Anfangs sträubte sich der Jude gar sehr, allein zuletzt ließ er sich
dazu bewegen und tat, was Hans verlangt hatte. Er bekam nun seinen Hasen,
welchen er in einen der Körbe steckte und dann seines Wegs weiter zog. Als er
ein wenig entfernt war, ließ Hans seinen Lockruf ertönen, und sogleich war die
Herde wieder vollzählig.
Abends trieb
Hans seine Herde ins Schloss zurück, und niemand konnte ihm die Lösung der
ersten Aufgabe, welche die schwerste war, abstreiten. Nun kam aber die zweite.
Er sollte nämlich mehrere Metzen Erbsen und Fisolen in einer stockfinstern
Kammer voneinander sondern. Er ging hin, tat einen Pfiff, und sogleich waren
einige hundert Ameisen da, welche zu kroseln und zu schaffen anfingen. Nach
einiger Zeit lagen Erbsen und Fisolen gesondert in Haufen. Das war für den
König ein Verdruss, und er stellte nun eine dritte Aufgabe. Hans sollte nämlich
viele hundert Eier vom Grund eines tiefen Sees, und zwar zur Nachtzeit holen.
Er begab sich zum See und pfiff, und sogleich waren eine Menge Fische da,
welche schon vor Tagesanbruch die Eier herausgeholt hatten. Jetzt hatte er
gewonnen Spiel, und da er ein hübscher Bursche war, so willigte endlich die
Königstochter ein und heiratete ihn. Hans nahm seinen alten Vater zu sich, ward
später König und lebte glücklich und zufrieden.
Vernaleken, Theodor: Kinder- und Hausmärchen dem Volke treu nacherzählt. 3.Auflage, Wien/Leipzig, 1896