Der Sohn
eines Königs ging einst auf die Jagd. Da gewahrte er eine Turteltaube mit
goldenen Federn. Er schoss danach, und sie fiel zur Erde nieder. Aber wie
erstaunte er, als er sie aufheben wollte und an ihrer Stelle ein wunderschönes
Mädchen antraf. »Dich möchte ich gleich heiraten,« rief er aus, »wenn es der
König, mein Vater, erlaubte. Warte, bis er einwilligt!«
Damit führte
er die Schöne in das entlegene Haus einer alten Hofdame, die ihr ein hübsches
Zimmer überließ, vor dem sich ein Ziehbrunnen befand. Als nun die Hausmagd,
eine hässliche sarazenische Sklavin, an den Brunnen trat, um Wasser zu
schöpfen, sah sie im blanken Spiegel der Tiefe das Antlitz der schönen
Jungfrau, die gerade aus ihrem Fenster herniederschaute. Die Sklavin, die sich
einbildete, ihr eigenes Gesicht zu erblicken, zerschlug heftig ihren Krug und
erwiderte ihrer zürnenden Herrin: »Wahrlich, zum Wasserholen bin ich doch wohl
zu schön.«
Mit einem
neuen Kruge zum Brunnen zurückkehrend, schaute sie dasselbe Gesicht und
zerschlug das mitgebrachte Gefäß grimmiger als das erste. – Bei ihrem dritten
Erscheinen konnte jedoch das aufmerksame Mädchen nicht länger still bleiben,
sondern musste laut lachen. Die Hässliche guckte empor und sprach scheinbar
erfreut: »Ah, du warst es also! Wie reizend du bist! Gestatte, dass ich dir
diene! Ich will dich ankleiden und dir die schönen Haare kämmen!«
Wie sie aber
nun beim Kämmen das Mädchen heimtückisch mit einer großen Haarnadel stach, um
es zu töten, wurde es plötzlich wieder zur Turteltaube und flog davon, während
die Sklavin ihren Fensterplatz einnahm.
Als der
Königssohn nach dem Tode des Vaters erschien, um die schöne Braut heimzuführen,
erschrak er nicht wenig, wie ihn die hässliche Sklavin als Bräutigam begrüßte.
»Wohin ist
deine Schönheit geschwunden? Wie bist du jetzt hässlich!« rief er betrübt.
Und sie
antwortete ihm:
»Bin gewesen
im Winde,
hab' mich
verändert geschwinde.
Bin
verbrannt von der Sonnen,
hab' andere
Farbe gewonnen.
Kehrt zurück
das frühe Jahr,
werd' ich
wieder, wie ich war.«
So nahm der
junge König die Hässliche an Stelle der Schönen, die nun täglich als
Turteltaube die königliche Küche besuchte und zum Koch, der sie mit guten
Brosamen speiste, sagte:
»Koch meiner
Küche, sage mir an,
was wohl der
König mit der Sklavin getan!
Gute Brocken
gibst du mir,
ich lasse
dir schöne Federn dafür.«
Dabei
schüttelte sie sich und ließ goldene Federn zurück, so dass der Koch bald ein
reicher Mann wurde. Der König erfuhr es und ging in die Küche, um die
wunderbare Taube zu sehen. Sie kam auch, verzehrte ihre tägliche Speise, sagte
ihren Spruch, hinterließ goldene Federn und enteilte durchs Fenster. Der König
aber schaute hinterdrein und verlor sie nicht aus dem Auge. Dann folgte er ihr
und kam in das Haus, wohin er einst das schöne Mädchen gebracht hatte. Er
klopfte an die Tür und fragte die Alte, die ihn einließ: »Wer wohnt hier im
Hause?«
»Niemand,
Majestät!« – »Ich frage als König und verlange die Wahrheit zu hören!« –
»Wahrhaftig, Majestät, außer mir wohnt niemand im Hause. Nur eine Turteltaube
sitzt hinter einem alten Bilde.«
»Komm,
Täubchen, komm!« rief der gütige König. Und zutraulich kam sie. Er streichelte
sie und bemerkte am Kopfe einen Höcker. Es war der Knopf einer Nadel. Schnell
zog er sie heraus, und lächelnd stand vor ihm die liebliche Braut, die nun
Königin wurde. Die hässliche Sklavin aber wurde zum Tode verurteilt, wie sie es
verdiente.
Zschalig, Heinrich: Die Märcheninsel. Märchen, Legenden und andere Volksdichtungen von Capri
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